Mechanostat
Schon Julius Wolff stellte im 19. Jahrhundert fest, dass die Form des Knochens seiner mechanischen Funktion folgt. Harold Frost präzisierte diese Beobachtung und beschrieb seit den sechziger Jahren einen Regelkreis, Mechanostat genannt, der die Anpassung des Knochens an die auf ihn wirkenden mechanischen Kräfte systematisch beschreibt*.
Regelkreis Mechanostat
Um seine mechanischen Aufgaben erfüllen zu können, muss der Knochen in der Lage sein, sich an Änderungen der Größe oder Richtung der Kraft anzupassen, so dass willentliche Muskelkontraktionen keine Schmerzen verursachen oder gar zu Verletzungen an Sehne, Knorpel oder Knochen führen. Zusätzlich muss der Knochen auch auf Veränderungen des Stoffwechsels und der Umwelt reagieren können. Die Knochenfestigkeit (nicht etwa die Knochenmasse) ist daher eine geregelte Größe.
Kernkonzept ist dabei ein Regelkreis: Die Muskelkräfte erzeugen im Knochen eine Verformung. Osteozyten, die weitaus häufigsten Knochenzellen, sind in der Lage, die lokale Verformung des Knochens zu messen. Übersteigt die Verformung des Knochens einen bestimmten Grenzwert, wird die Knochenfestigkeit durch Osteoblasten erhöht, so dass die Verformung wieder unter diesen Wert fällt. Wird andererseits ein zweiter, niedrigerer Grenzwert nicht regelmäßig überschritten, wird Knochen durch Osteoklasten abgebaut, so dass die Verformung wieder in einem Bereich zwischen den Grenzwerten liegt. Dadurch wird die Knochenfestigkeit mit einem Minimum an Material ständig optimiert.
Transienten & Steady States
Kennzeichen eines stabilen Regelkreises ist die sogenannte negative Rückkopplung. Negative Rückkopplung bedeutet, dass der Regelkreis auf eine Veränderung so reagiert, dass die Auswirkungen der Veränderung kompensiert werden können.
Am Beispiel des Mechanostat bedeutet die negative Rückkopplung folgendes:
Verringert sich die typische lokale Maximalkraft, die auf einen Bereich des Knochens wirkt, oder ändert sich deren Richtung, so verringert sich in diesem Bereich des Knochens die lokale Verformung (µStrain). Liegt diese verringerte Verformung nun unterhalb der Absorptionsschwelle, so wird in diesem Bereich des Knochens gezielt die lokale Geometrie verändert, indem z.B. Knochenmaterial abgebaut wird. Ziel ist es dabei, die lokale Festigkeit in die Richtung anzupassen, in welche die Kraft wirkt. Als Resultat dieses Umbauprozesses steigt bei gleicher veränderter Kraft die lokale Verformung wieder in den normalen Bereich, bei gleichzeitig gesunkener Knochenmasse.
Steigt die lokale Kraft und damit die lokale Verformung später wieder an, wird dieser Prozess umgekehrt und Knochenmaterial lokal eingelagert, bis die lokale Verformung wieder im erlaubten Bereich liegt.
Dieser kompensatorische Prozess führt im Zeitraum der Anpassung offensichtlich zu sich verändernden Werten. Bei der Beurteilung von Messwerten muss daher stehts berücksichtigt werden, ob sich der Regelkreis gerade in einer solchen Übergangsphase mit sich verändernden Werten (Transiente) oder in einem momentan stabilen Zustand (steady State) befindet. Da sich Knochenabbau- und insbesondere Knochenaufbauprozesse in zeitlichen Dimensionen von mehreren Monaten bis hin zu Jahren bewegen, muss darauf geachtet werden, Transienten nicht einfach linear zu interpolieren. Zum Beispiel kann beim Verlust von Knochenmasse, welche über mehrere Monate gemessen wurde, nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Prozess die nächsten Jahre anhalten wird. Vielmehr wird sich nach einiger Zeit ein neuer stabiler Zustand mit verringerter Knochenmasse einstellen. Dies zeigt auch, wie wichtig die Betrachtung der Änderungen am Individuum sind, um zwischen Transienten und steady States unterscheiden zu können. Bei Mittelung der Werte über eine Gruppe entfällt diese entscheidende Information gänzlich.
*) Harold Frost: The Utah Paradigm of Skeletal Physiology. Vol. 1+2. ISMNI, 2004.